Hoyerswerda

In Hoyerswerda wurde eine Wohnung mosambikanischer Vertragsarbeiter:innen von ca. 35 bis 50 Neonazis angegriffen. Später sammelten sich die Neonazis in der Stadt und lieferten sich Auseinandersetzungen mit der Polizei…

Hoyerswerda

In Hoyerswerda wurde in der Nacht vom 2. zum 3. Oktober 1990 ein Wohnheim mosambikanischer Vertragsarbeiter:innen zweimal von ca. 35 bis 50 Neonazis angegriffen. Als die Polizei eintraf, drängte sie die Angreifer:innen ab. Später sammelten sich die Neonazis in der Stadt und lieferten sich Auseinandersetzungen mit der Polizei.

Die Vertragsarbeiter:innen sollen sich verstecken

Schon im Vorfeld wusste die Polizei von Drohungen der Neonazis, das Wohnheim der Vertragsarbeiter:innen sowie Jugendklubs und das Umweltzentrum anzugreifen:

„Die Polizei wußte vorher, daß etwas passieren soll. Tage vor der Vereinigungsnacht wurden anonyme Drohungen bekannt. Die mit dem Berufsverkehr kommenden Mocambiquaner sollten an der Haltestelle abgefangen und verprügelt werden. Die Werksleitung verhinderte das mit der Bereitstellung von Fahrzeugen, die den Transport übernahmen. Weitere Drohungen folgten. Neben Jugendklubs und dem Umweltzentrum wurden immer wieder die beiden Ausländerwohnheime als Angriffsziel genannt.“

„GEWALT – Zur Feier des Tages“, Hoyerswerdaer Tageblatt, 5.10.1990.

Die Vertragsarbeiter:innen werden angewiesen, sich einfach in ihren Zimmern zu verstecken:

„Die Polizei ist im Grunde hilflos, weil überlastet. Während des ganzen […] Geschehens sind die Mocambiquaner auf Anweisung in ihren Zimmern geblieben. Am Vortag mit Lebensmitteln versorgt, verlassen sie ihre Unterkünfte mit Beginn der Dunkelheit nicht und auch am Tag nur für kurze Zeit und in Gruppen.“

„GEWALT – Zur Feier des Tages“, Hoyerswerdaer Tageblatt, 5.10.1990.
Die Angriffe auf das Wohnheim der mosambikanischen Vertragsarbeiter:innen sind „Thema der Woche“ im Hoyerswerdaer Tageblatt.1Hoyerswerdaer Tageblatt, 5.10.1990.

Der Angriff auf das Wohnheim der mosambikanischen Vertragsarbeiter:innen

Drei Tage nach dem 2. Oktober wurde der Angriff auf die Unterkunft der Mosambikaner:innen im Lokalblatt wie folgt beschrieben:

„Die Polizei ist nicht vor Ort, als am 2. Oktober gegen 18 Uhr plötzlich vier vollbesetzte PKW’s vor dem Ausländerheim in der Zetkin-Straße vorfahren. Es ist der erste Angriff. Mit Flaschen bewaffnet, zertrümmern unbekannte Täter das Glas der Eingangstüren und einiger Fenster. Als die Polizei eintrifft, ergreifen sie die Flucht. Das Feuerwerksspektakel um Mitternacht ist kaum verhallt, als ein zweiter, wesentlich schlimmerer Angriff erfolgt. Diesmal sind es 30, vielleicht 35 Personen. Später stellt sich heraus, daß es sich überwiegend um 16–17jährige Lehrlinge aus Schwarze Pumpe handelt. Die Polizei ist gleich mit Schild, Gummiknüppel und einer Hundestaffel zur Stelle und löst eine mittlerweile auf 50 Personen angewachsene Menge, die sich nun vor dem Polizeirevier in der Schehr-Str. versammelt hat, gewaltsam auf. 15 Jugendliche werden zugeführt. Dennoch aber sind wieder Scheiben zu Bruch gegangen, ein Polizeiwagen leicht beschädigt.“

„GEWALT – Zur Feier des Tages“, Hoyerswerdaer Tageblatt, 5.10.1990.

Christoph Wowtscherk, der das Pogrom in Hoyerswerda von 1991 untersucht hat, stellte in seinem Buch in Bezug auf die Vorfälle vom 2. Oktober 1990 fest: 

„Der Angriff […] wurde belustigt und in Feierlaune begangen. Die Menge tobte sich regelrecht aus. Die Fremdenfeindlichkeit wurde zum Event.“

Christoph Wowtscherk: Was wird wenn die Zeitbombe hochgeht?, Göttingen: V&R unipress 2014, S. 149–160, zitiert nach: https://www.hoyerswerda-1991.de/1991/angriffe.html.
Ein Bericht in der Lausitzer Rundschau über die Angriffe auf die Wohnungen vom mosambikanischen Vertragsarbeiterinnen und ‑arbeitern in Hoyerswerda und Guben.2Lausitzer Rundschau, Nr. 232, 4.10.1990, S. 2.

Straffreiheit für die Täter:innen und Kontinuität der Gewalt

Dieser Angriff ist nur ein Teil einer ganzen Reihe rassistischer Angriffe in Hoyerswerda. Schon zum 1. Mai 1990 griffen ca. 150 Neonazis unter dem Beifall von über 1.000 Bürger:innen Mosambikaner:innen und ihre Wohnungen an.3„Der rassistische Terror in Hoyerswerda im Jahr 1990“, in: Buchladen Georgi Dimitroff (Hrsg.): Der Nazi-Pogrom in Hoyerswerda, September 1991,S. 27, Online: aaghoyerswerda.blogsport.de/images/hoyerswerdadokuvombuchladendimitroff.pdf.

Vor diesem Hintergrund hieß es am Ende des Berichts über den Angriff vom 2. Oktober in der Lokalzeitung:

„Die Polizei befürchtet die Wiederholung der Vorfälle. Die Massenschlägerei am 1. Mai diesen Jahres ist noch tief in Erinnerung und warnt. Nach Einschätzungen der Polizei hat sich die Bereitschaft zur Gewalt in letzter Zeit um mindestens 100 Prozent erhöht.“

„GEWALT – Zur Feier des Tages“, Hoyerswerdaer Tageblatt, 5.10.1990.

Im September 1991 folgte dann das bundesweit bekannt gewordene Pogrom, bei dem bis zu 500 Neonazis und Bürger:innen ein Vertragsarbeiter:innenwohnheim und eine Unterkunft für Geflüchtete belagerten und angriffen.4https://www.hoyerswerda-1991.de/.

Ende 1992, Anfang 1993 wurde die Gewalt in Hoyerswerda schließlich tödlich: Bei Angriffen auf Diskotheken bzw. im Rahmen eines Überfalls auf eine Spielothek ermordeten Neonazis Waltraud Scheffler, Timo Kählke und Mike Zerna.

Ein Blick in Polizei- und Gerichtsakten zeigt, dass einige der Täter vom 2. Oktober 1990 auch an späteren Vorfällen beteiligt waren und sogar eine direkte personelle Kontinuität von dem Angriff vom 2. Oktober über das Pogrom bis zum Mord von Mike Zerna besteht.

Im Nachgang zum 2. Oktober 1990 ermittelte die Polizei zunächst gegen sechs Beschuldigte wegen Landfriedensbruchs und vernahm über ein Dutzend Personen. Es dauert dann noch knapp zwei Jahre, bis es Ergebnisse gab: Zwei der Beschuldigten wurden angeklagt und im September 1992 wegen Landfriedensbruchs dazu verurteilt, 250 bzw. 1.000 DM an ein Pflegeheim bzw. an Amnesty International zu zahlen. Weder in den Vernehmungen noch in der Verhandlung kamen die mosambikanischen Arbeiter:innen als Zeug:innen zu Wort oder wurden in irgendeiner Weise als Akteur:innen berücksichtigt. Auch den politischen Hintergrund blendete das Gericht aus, obschon sich sogar einer der Täter in der Verhandlung offen zu seinem rechten Weltbild bekannte: „Von den Ausländern halte er nicht viel, sie machten nur Ärger. Er selbst sei Republikaner.“5Urteil des Kreisgerichts Hoyerswerda vom 27.10.92, rechtskräftig seit 10.9.92, Blatt 44–49 der Akte 13363 Staatsanwaltschaft Dresden, Zg. 5, Nr. 1034 Bd. 1 im Hauptstaatsarchiv Dresden.

Noch während sich die Ermittlungen und das Verfahren hinzogen, beteiligten sich vier der Täter oder Zeugen vom 2. Oktober 1990 am Pogrom vom September 1991. Auch hier kamen sie glimpflich davon. Exemplarisch dafür steht der Fall Steven F. :

Steven F. beteiligte sich am 18. und 19. September 1991 an den Ausschreitungen vor dem Wohnheim der Vertragsarbeiter:innen in der Albert-Schweitzer-Straße. Er war mit einem Revolver und Co2-Patronen bewaffnet und warf Steine auf das Heim. Am zweiten Tag wurde er von der Polizei aufgegriffen und im Januar 1992 wegen Landfriedensbruchs und Verstoßes gegen das Waffengesetz zu einer Zahlung von 3.000 DM an Amnesty International verurteilt.6Akte 13363 Staatsanwaltschaft Dresden, Zg. 5, Nr. 1034 Bd. 1 im Hauptstaatsarchiv Dresden. In der Vernehmung durch die Polizei bekannte er sich zur „rechten Szene“ und erklärte: „Ich habe Nationalstolz und bin gegen Ausländer. Ich bin dagegen, daß sich diese Leute hier einnisten. Meine Meinung ist, daß diese Leute raus müssen und das Deutschland sauber werden soll. Diese Aktionen in der Schweitzer Straße befürworte ich auf einer Seite, da solche Aktionen einiges beschleunigen. Andererseits werden Leben gefährdet, was mir nicht gefällt. Deshalb beteilige ich mich nicht mehr aktiv.“7Vernehmung des Steve F., Blatt 4–6 der Akte 13363 Staatsanwaltschaft Dresden, Zg. 5, Nr. 1034 Bd. 1 im Hauptstaatsarchiv Dresden.

Im Nachgang des Urteils verweigerte er die Zahlung. Im September 1992 wurde er für den schon zwei Jahre zurückliegenden Angriff vom 2. Oktober 1990 wegen Landfriedensbruch zu o.g. Zahlung von 1.000 DM an Amnesty International verurteilt, wobei die beiden Beträge auf 3.500 DM verrechnet wurden.8Akte 13363 Staatsanwaltschaft Dresden, Zg. 5, Nr. 1034 Bd. 1 im Hauptstaatsarchiv Dresden.

Steven F. gehörte auch zu denen, die dann im Februar 1993 einen Treff linker Jugendlicher, den Club „Nachtasyl“ in Hoyerswerda, überfielen. Sie verletzten mehrere Gäste schwer und kippten einen Transporter auf den bereits schwer verletzten Mike Zerna. Mike Zerna starb noch in derselben Nacht. Steven F. wurde dafür im Oktober 1994 zu 3 Jahren und 9 Monaten Haft verurteilt.9Urteil der 1. Jugendkammer bei dem Landgericht Bautzen vom 7. Okt. 1994, rechtskräftig seit 17.10.1994, Akte 13363 Staatsanwaltschaft Dresden, Zg. 5, Nr. 1034 Bd. 1 im Hauptstaatsarchiv Dresden.